Der Bergkarabach-Konflikt kurz erklärt

Armenien und Aserbaidschan streiten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion über die Zugehörigkeit von Bergkarabach, das hauptsächlich von Armeniern bewohnt wird und sich 1991 von Aserbaidschan lossagte, völkerrechtlich aber nach wie vor zu Aserbaidschan gehört. Die Region hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit war Bergkarabach teils unabhängig, teils gehörte es zum damaligen Armenien, teils zu den rivalisierenden Großmächten Persien oder Russland. Nach langer muslimischer Herrschaft lebten schließlich nur noch wenige (christliche) Armenier in Bergkarabach. Anfang des 19. Jahrhunderts siedelten sich unter russischer Herrschaft erneut zehntausende Armenier aus dem Osmanischen Reich in Bergkarabach an. Nach dem türkischen Genozid am armenischen Volk 1915/16 gab es eine weitere Einwanderungswelle. Es folgten zwei Jahre der Unabhängigkeit von 1918 bis 1920. Im Jahre 1923 kommt das zu dieser Zeit fast ausschließlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach schließlich zur Aserbaidschanischen Sowjetrepublik (SSR) als Region mit Autonomierechten.

Im Zuge von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow hofften die Armenier, das Problem Bergkarabach endlich zu ihren Gunsten lösen zu können. Jedoch lehnte Moskau im Februar 1988 die Forderung ab, das umstrittene Gebiet an die armenische Sowjetrepublik zu übergeben. Als es in der aserbaidschanischen Stadt Sumgait zu einem Pogrom an Armeniern mit Dutzenden Toten kam, kochte der Konflikt um Bergkarabach endgültig hoch. Schwere Unruhen führen zu ersten Fluchtbewegungen auf beiden Seiten.

Im Jahr 1991 ruft das Parlament in Stepanakert die unabhängige, international aber nie anerkannte Republik Bergkarabach aus. Armenien sagt sich indes nach einem Referendum von der Sowjetunion los. Ende des selben Jahres entzieht die Aserbaidschanische SSR Bergkarabach die Autonomie. Im Gebiet selbst ist die Stimmungslage eindeutig: Bei einem Referendum stimmt eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit. Nach dem Ende der Sowjetunion Anfang 1992 und der erneuten Unabhängigkeitserklärung von Bergkarabach kommt es zum Krieg. Erst 1994 tritt ein Waffenstillstand in Kraft. Die Bilanz des Krieges: 20.000 Tote, insgesamt mehr als eine Million Vertriebene. Und so war die Lage bis zum Sommer 2020 einzementiert: Die Armenier kontrollierten den größten Teil von Bergkarabach sowie mehrere umliegende aserbaidschanische Bezirke, wählten dort ein eigenes Parlament und einen Präsidenten. Mehrere Friedensinitiativen der sogenannten Minsker Gruppe blieben erfolglos, wurden entweder von der einen oder der anderen Konfliktpartei abgelehnt.

Im Oktober 1999 fand sogar das erste von mehreren Treffen der Präsidenten Haidar Aliyev (Aserbaidschan) und Robert Kotscharian (Armenien, Ex-Präsident von Bergkarabach) statt, die aber ebenso keine Lösung bringen. Das öl- und gasreiche Aserbaidschan rüstete ab 2007 massiv auf auf. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev, Sohn von Haidar Aliyev, droht immer wieder mit einem neuen Krieg. Im März 2008 sterben bei Artilleriegefechten insgesamt etwa 20 Soldaten, nachdem der Waffenstillstand zuvor immer wieder gebrochen worden war. Daraufhin unterzeichnen Jerewan und Baku eine Erklärung, wonach die Friedensbemühungen intensiviert werden sollen – ohne Erfolg. Im April 2016 kommen bei den schwersten Gefechten seit dem Waffenstillstand von 1994 insgesamt mehr als 100 Menschen ums Leben. Die aktuellen Entscheidungsträger auf armenischer Seite sind erst seit Kurzem im Amt. 2018 muss Sersch Sarkissian nach einem umstrittenen Wechsel vom Amt des Präsidenten ins Amt des Regierungschefs angesichts von Massenprotesten zurücktreten. Oppositionsführer Nikol Paschinian kommt als Regierungschef an die Macht. 2020 wurde Araik Haratjunian zum neuen Präsidenten von Bergkarabach gewählt.

Ende September 2020 eskalierte die Lage schließlich erneut, beide Länder verhängten das Kriegsrecht. Als Aserbaidschan die armenische  Republik Arzach (Bergkarabach) angreift, kommt es zu wochenlangen schweren Gefechten mit tausenden Toten. Auf aserbaidschanischer Seite wirkt auch die Türkei im Hintergrund mit, schleust syrische IS-Söldner und Dschihadisten ins Frontgebiet. Trotz heroischen Einsatzes und größter Opferbereitschaft können die Armenier den hochgerüsteten Streitkräften Bakus auf Dauer nichts entgegensetzen. So bleibt Premierminister Paschinian nichts weiter übrig, als Anfang November einen von Russland initiierten Friedensvertrag zu unterzeichnen, der faktisch einer militärischen Kapitulation gleichkommt. Dadurch geriet Armenien selbst wiederum in eine schwere innenpolitische Krise.

Als Folge dieses Abkommens fallen große Teile Bergkarabachs an Aserbaidschan zurück. Rund 2.000 russische Soldaten sollen die Waffenruhe absichern, neue Kämpfe verhindern. Lediglich ein Rumpfterritorium rund um die Hauptstadt Stepanakert bleibt den Armeniern. Diese fliehen in großer Zahl aus dem Krisengebiet. Mehr als 100.000 Vertriebene stranden mehr oder weniger mittellos in Jerewan und Umgebung, müssen mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Wohnraum versorgt werden. Es droht eine humanitäre Katastrophe, denn das durch den Krieg ausgelaugte Land ist völlig überfordert. Daher braucht es großzügige Hilfe aus dem Ausland. Vor allem die armenische Diaspora zeigt sich unglaublich solidarisch mit der kaukasischen Heimat.

Rundbrief